Dienstag, 14. Mai 2013

dlf soundcheck, die zweite ...


lieber anonym,

so ein klitzekleines bißchen jammern und wehklagen nach 22 jahren innigster zuneigung zu einer radiosendung - und auch, wenn ich der einzige bin, der das tut - muss gestattet sein und hat auch, denke ich mal, weniger mit dem sturen verharren in der vergangenheit als mit der qualität der sendung zu tun.

ich hab's ja unterdessen abwärts von VIDMUSIC 76 runter auf VIDMUSIC 48 bei meinem versuch, wenigstens die archive zu sichern geschafft, eine menge alter sendungen noch mal gehört und weiss, wie toll gerade die von karl lippegaus zb. waren.

er war der, der mir namen genannt hat, die ich nicht kannte ... und ich bin eingebildet genug, zu behaupten, daß ich vorher schon eine menge kannte. aber zb. pascal comelade, um einen herauszugreifen, in einem 2 stunden portrait mit sachkundigem kommentar vorgestellt zu bekommen, das hatte schon was erleuchtendes. naja, karl lebt zwischen deutschland und frankreich, da gibt es eine offensichtliche kulturelle parallele



ganz zu schweigen von den beiden büchern aus dem neospheres verlag in marseilles über französischen underground und krautrock, die ich mir am nächsten tag bestellt habe. ihn zu verlieren, nicht nur dieses ritual der frühen samstag nacht, das ist so, als sei ein alter freund gestorben, der einem - ich sage das noch mal - 22 jahre die hand gehalten hat. man steht am grab und weiss, der kommt nu' nicht wieder und du bleibst allein.

bedeutung hat nur, wem man bedeutung gibt. 

für mich hatte der soundcheck von minute 1 an bedeutung und wert. eine art akustisches "rock-lexikon" und ich liebe nun mal rock lexika, die ich schon in den 70ern verschlungen habe, einmal abgesehen von den liebevollen kompendia wie "the great rock discography" von martin c. strong, der fleißarbeit "shaking all over" von hans-kürgen klitsch oder den "rockmusik lexikon" von christian graf & burghardt rausch, die ich von der ersten noch selbstverlegten ausgabe bis heute kaufe.

wobei ersteres für (martin c strong) vielleicht für andere wie ein besseres telefonbuch daher kommen mag, für mich war es ein "fahrplan". heute guckt man ja so was bei "allmusic.com" nach,

aber ... muss ich deshalb die gewohnheit, zwischendrin das buch aus dem regal zu greifen und es nachzulesen, geich dem monitor opfern? motto: ist schon betagt, kann in die mottenkiste?

[..] wenn du gern in der Vergangenheit lebst,
[..] greife auf dein Archiv zurück.

ich bin anmassend genug, zu behaupten, immer ein bißchen in der zukunft gelebt zu haben, sei das nun der TI 99/4A mit 64kb hauptspeicher und kassettenrecorder als laufwerk, der teilnahme an den frühen foren bei compuserve, der ideenwelt von timothy leary oder ra. wilson ... und dann meiner zeitgenossenschaft dabei zuzugucken, wie sie nachtröpfelt, um nachher zu behaupten, sie sei auch schon immer "da" und "dabei" gewesen.

für mich ist rockmusik "geschichtsschreibung" und so gehe ich damit um. 

sie hat für mich einen "wert", ich reite keine welle oder laufe mit, ich will nicht zwanghaft "vorne dabei" sein, ich will eine "erzählung". das reine abspielen von musik, so wie es der neue soundcheck nun tut, ist für mich ohne wert und ich beklage im grunde, daß mit dem sterben solcher formate auch die dazugehörige "geschichte" abnippelt, der zusammenhang flöten geht und eine kunstform "stirbt" - ich habe auf die vier sendungen über die beatles von barry graves verwiesen und könnte ad hoc eine ganze reihe solcher sendungen nennen, belasse es aber mal bei dem verweis auf tiny hagens wunderbares 5teiliges portrait der musik aus new orleans oder der "story of pop" reihe von alan freeman.

natürlich gibt es auch visuelle versuche, sich dem anzunähern, ken burns "jazz" zb. und natürlich gibt es auch klaus walther, der ab und an beim hr oder bei drw seine kleinen juwelen funkeln läßt, die dann in der summe mehrerer eher kleiner teile ein grandioses ganzes ergeben, aber ...

machen wir uns an der stelle doch nichts vor: die lieblosigkeit, mit der solche formate gekillt werden hat system, so wie die katholen die bücher der mayas verbrannt haben. da hilft mir persönlich auch kein "die zeit geht weiter". nope, die zeit wird beschleunigt, die oberflächlichkeit, das sensationsgeifernde obsiegt und der _zusammenhang_, die "geschichtsschreibung" geht flöten.

ich denke, in dieser sicht auf die dinge, bin ich meiner zeit immer noch "voraus". 

was rockmusik war, was sie für die transformation des planeten zu einem besseren ort, ihrer rolle als "lingua franca" der jugend der welt, bedeutet, damit habe ich etwas verstanden, was meinen zeitgenossen in ein paar jahrzehnte erst verstehen werden, wenn ihnen der wert der rockmusik klar wird und sie ihre kulturelle bedeutung und ihre - ich sagte das ja - eigene geschichtsschreibung als solche versteht.

wir stehen da hier immer noch unter der idee, dass das ja alles nur belang- und wertloser unterhaltungskram ist, den zu hegen und zu pflegen sich nicht groß lohne. immer noch dieses E und U ding. da sind die deutschen immer noch kleine nazis und wollen nicht, daß die "negermusik" die rasse oder doch deren ernsthaftigkeit "verseucht" und das ist jämmerlich.

[..] Wenn nicht finde Neues

wie gesagt: ich sitze nicht auf meinem berg an grateful dead konzerten und bin ein stocksteifer purist, der nur das alte gegen das neue verteidigen will. wenn das neue gut ist, her damit - und es gibt immer eine menge guter neuer sachen, die in der tradition stehen und nicht als eintagsfliegen nur das häppchendenken bedienen oder als klangtapete am nächsten tag vergessen sind.

es gibt "weiter vorne" einen post, in dem ich meine 1001 lieblingsplatten aufliste, ich weiss nicht, ob das zum jeweiligen zeitpunkt "nur das alte" ist, auch wenn - um's aktuell zu machen - camera aus berlin klingen wie "neu" - natürlich das vertraute und bewährte immer einen bonus hat, meine kinder mir die monika roscher bigband anschleppen oder ein obskurer blog mich mit douBt's  "mercy pity peace & love" beglückt.

ich denke nicht, daß es die weigerung ist, mich auf neues einzulassen.

es ist eher die klage, daß das alte seinen wert verlieren soll, nur weil es "stoff von vor einem jahr" ist und damit "out".

an der stelle war dann der soundcheck auch oft hilfreich, den mit "moondog" oder "kevin coyne" nicht mehr vertrauten hörer daran zu erinnern, daß rockmusik "geschichtsschreibung" ist und das "alte" zu kennen, für die "neuen" vielleicht eine ganz interessante sache sein kann.

deshalb das wohlgefüllte archiv, nicht um mich im verschnarchten alten einzuigeln und mit rosinante gegen die jetztzeit in der attitüde des ewig gestrigen anzureiten.

auch "weiter vorne" singe ich der einzigen zeitung, die mich in der haltung wirklich mit validem bedient, ein hohelied.

in deutschland müssen wir mit der springer schrottpresse leben und die wunderbare rororo reihe "rock session" ist vor jahrzehnten schon eingegangen.

in so einem land ist es klar, daß für so etwas wie den "soundcheck" kein platz mehr ist.

der fehler lag nicht bei der sendung, er liegt in unserer betrachtung der rockmusik als konsum und nicht als kulturprodukt und der ignoranz von herzlosen bürokraten, die auf dem reissbrett formate zerstören ...

ohne dass adäquates nachwüchse.

grüße und danke für die geduld ...

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