Montag, 15. Oktober 2012

alles wieder in trockenen tüchern ...


jonas schaible hat auf carta einen beitrag über eine der EU fehlende "narrative" veröffentlicht, den ich zunächst für so unsäglich hielt, daß ich nur kurz darauf einging. so schnöde von seinen kommentatoren ignoriert zu werden, hätte auch mich aufgeregt, also hat jonas auskunft verlangt und weil dieser text zu lange wird und ich gerade irgendwie nichts erleuchtendes über den zustand der welt zu posten habe, ist dieser beitrag also sozusagen eine reply.

lieber jonas,

[..] Früher war es einfach, früher gab es das „Nie wieder“

und heute? ein "wir könnten ja mal wieder?"  weil "wir sind ja wieder wer!"



wir haben ja schließlich geistesgrößen wie diesen dobrindt, der gestern fand, daß wir, wenn wir ja schon ein viertel von der party bezahlen, von den anderen schon erwarten könnten, daß ab sofort die bundesbank der ezb sagt, was sie zu tun und zu lassen hat.

wieso, wann und von wem wurde denn dieses "nie wieder" (teutonische überlegenheit) für obsolet erklärt? ich kann mich irgendwie nicht daran erinnern, daß das jemand gemacht hat, der satz gilt für mich immer noch. wie er wahrscheinlich für alle gilt, die mit der eigenen geschichte vertraut sind.

er gilt natürlich nicht für besonders schlaue, die finden, daß mal langsam genug sein könnte mit diesem hitlerscheiss und diesen ganzen alten hüten, sprich den erzählungen derer, die in den lagern oder an der front verrecken durften, weil wir mal "wer" waren und die anderen sich ein scheibchen von unserem wesen abschneiden könnten, sollten, müssten.

also o-ton dobrindt von gestern ...

[..] Das Narrativ von den geschundenen, kriegsmüden Völkern ...

halt dieser altbackene ganze scheiss, den wir - wir haben ja internet - langsam mal in den papierkorb werfen sollten ...

nur, zu blöd, das ist kein "narrativ" (ich bin fast explodiert bei der lektüre an der höhnisch blasierten dummheit, die mich aus dieser formulierung ansprang) - es ist die erlebte wirklichkeit von generationen von menschen, die noch wissen, was das war  "der nationalstaat". also die möglichkeit einer überheblichen schicht von machthabern eine dumme bevölkerung zu manipulieren, die nicht über den tellerrand gucken konnte, geschweige denn durfte.

kann _euch_ nicht passieren, ihr habt ja internet ...

[..] Mehr als nach einer Lösung für die wirtschaftlichen Probleme sehnen sich viele nach ...

ich war erleichtert, an dieser stelle nicht "einem führer" lesen zu müssen.

politik, lieber jonas, ist keine frage von "sehnsüchten". es ist harte arbeit.

wenn das mit den "sensüchten" anfängt, kann ich dir verraten, wo es aufhört: in verdun oder in stalingrad. dort werden - erklärt uns die geschichte - diese art von "sensüchten" beerdigt.

[..] Warum eigentlich Europa?

eben, warum eigentlich atmen? geht sicher auch ohne ...

[..] Warum sollte man sich die Mühe machen, anstrengende Kompromisse zu finden

da leg ich mich doch lieber hin, denn so macht das alles keinen sinn ...

achtung: daß man einen sinn nicht erkennen kann, heisst nicht per se, daß es keinen sinn macht.

manchmal überschätzt man einfach seine eigene fähigkeit, etwas verstehen zu können und verliert sich in dem irrtum, etwas vielleicht sogar besser als andere verstanden zu haben, ohne zu ahnen, daß deren verständnis sich dem eigenen gegenüber wie das meer zu einem wassertropfen verhält.

diese selbstgefällige fensterrede eines satten, der das pfefferminzplätzlichen nicht mehr in sich hereinstopfen kann ... das war ein dünner rinnsal von jemandem, der offensichtlich nicht einmal angefangen hat, das meer zu sehen und noch in kleinen pfützen hoppt, um die mama zu ärgern.

ich will nicht noch mehr zeit verschwenden, aber ich erzähle vielleicht einfach einmal, was _ich_ zu meiner eigenen überraschung in den letzten vier jahren erlebt und verstanden habe.

am anfang, als die BLÖD ihre griechenhetze säte, da war ich kurz verunsichert. 

eigentlich halte ich mich für ganz gut informiert, weil ich das treiben seit fast 3 jahrzehnten, also seit ich programmiere, zuerst aus der perspektive des wortradios und erst dann aus der der zeitungen, die man früher ja noch lesen oder gar abonnieren konnte, wahrnehme. radiohören kann man immer, zeitunglesen beim programmieren ist ... schwierig.

für mich sind seit diesen 30 jahren radio-features von (sagen wir einmal) paul assal ("halt stand, rotes madrid", "der name, den das weltgewissen sprach, war seiner" etc etc) essentieller als alles, was im tv oder in der presse erzählt wird. ich will kohärentes und nicht häppchen.

man könnte mich also für etwas von der "welt da draussen" abgekoppelt halten, aber ich treibe mich ja auch seit nun 2 jahrzehnten in foren herum und streite mich mit leuten, die andere meinungen haben. früher hatten sie ja noch welche, heute sind das meistens nur 148 zeichen karrikaturen von etwas, was man früher eine politische position nannte.

lange rede kurzer sinn: in "meiner welt" gab es zu keinem zeitpunkt diesen neurotischen blick auf europa. also habe ich mich gefragt, ob mir der dlf etc etwas unterschlagen haben könnten und bin einfach mal ein halbes jahr ins forum des handelsblattes, wo ich dann jede art von euroneurotischem irren kennenlernte.

was mir auffiel war vor allem dieses rattenrennen. 

jemand hatte eine parole ausgegeben, der euro ist schlecht, wir müssen alles bezahlen, uns ginge es doch viel besser, wenn wir wieder einfach nur deutschland und nicht europa wären. am anfang sind alle (gut dressiert) entsetzt, weisen den idioten als nationalistischen hirni zurecht, verteidigen europa und den euro.

dann wird der ton rauer, weil sich zu dem einen mit der latrinenparole andere gesellen, die offensichtlich geistig auf dem selben niveau segeln. hohn, spott, hähme ... kurz schulhofmanieren ziehen ein. immer mehr 16jährige, die in der schule nichts mitbekommen zu haben scheinen, erbrechen sich in reihe ...

zur gleichen zeit verlieren die, die noch an einer komplexeren diskussion, an differenzierteren, auch selbstkritischen betrachtungen interessiert werden, die lust. sie müssen sich ja nicht im schlamm suhlen.

die, die dann stehen bleiben und gegenhalten, müssen damit leben, daß verdiente menschen wie etwa jc juncker als verbrecher abgestempelt werden, kurz jeder eigentlich ein verbrecher ist, der die "EUDSSR" befürwortet und -- von blöderbergern und illuminieten gesteuert - das geschäft der DDR 2.0 betreibt.

wenn ich jetzt die welt wahrnehmen würde als ein gebilde aus postings in onlineblättern, müsste ich mich ernsthaft fragen, ob die welt innerhalb der letzten jahre komplett aus den fugen geraten ist.

und, ich komme zu dem, was _ich_ sehe: dem ist nicht so.

statt dessen habe ich in den letzten jahren (die man gerne auf meinem www.tv3.blog nachgucken kann) einen kurzen moment von allergrößter dummheit (merkels griechenurlaubschelte) erlebt ... und dann zu meiner kompletten verblüffung das komplette gegenteil von deinem "narrativ" - ich habe leuten bei der _arbeit_ zugeguckt. beim bohren kleiner bretter.

bei etwas zutiefst EUROPÄISCHEM - der suche nach einem _kompromiss_, nach einer lösung. die sind nicht, wie deine fensterrede glauben machen soll, auseinandergedriftet, nope, "die" geben sich tagein tagaus _mühe_, den laden zusammenzuhalten.

ich hatte - offen gestanden - das konkrete gegenteil befürchtet.

na gut, ich habe zugucken müssen, wie die merkelsche immer noch alles drei monate zu spät macht und jedesmal gedacht "ist ja noch mal halbwegs gut gegangen". ich habe an mir selbst diese angst bemerkt, die man uns machen will, diese plötzliche zuneigung zu schäuble (dem "letzten europäer" wie der spargel dräute) , den ich noch nie abkonnte, dieses verständnis für die idioten in der der bundesbank, die von ihrer eigenen hysterie getrieben, nicht mehr über den tellerrand gucken können. die phalanx populistischer hirnis, die sich dumm und dämlich mit büchern verdienen, die diese angst schüren sollen. und den ganzen idioten, die irgendwelchen mist nachblubbern, den ihnen interessierte kreise unterjubeln. also jenen, die den ganzen tag über verschwörungen jammern - und nicht bemerken, daß sie in einer solchen die rolle der "nützlichen idioten" spielen.

und am "ende"?

am ende lese ich einen beitrag von jemandem, dem "Marseille, Silvester 1940-41" von mehring nicht vertraut sein dürfte, dem stephane hessels wahrscheinlich egal ist und der diese ganze EU sache für die zweite staffel einer fernsehserie hält, die irgendwie nicht sooooo der renner ist, weil ihm irgendwie das "narrativ" abgeht.

coole nummer, nur: es ist in wirklichkeit der vollgefressene, der nicht sehen will, das andere mit hungrigen augen gucken und in diese "narrativ"-lose EU drängeln. die menschen in riga bezahlen im verhältnis zu dem, was ihr staat einnimmt, mehr als das, was die berliner zahlen, weil sie beweisen möchten, daß sie GUTE EUROPÄER sind.

ich hätte übrigens auch auf diese komplett abstruse idee eingehen können, daß die EU einen "feind" braucht, um sich zu definieren, aber das war mir dann doch zu blöde: ich habe in den 40 jahren, die ich jetzt (nach meinem kleinen wahlkampf für barzel gegen brandt) politisch denke, _niemals_ bemerkt, daß die EU sich über etwas auszugrenzendes definierte.

eher über milchseen und butterberge.

für mich existiert übrigens als grundlegende idee die des "mare nostrum" und für mich hat die idee der mittelmeerunion oder die eines beitritts der türkei zur EU etwas _verlockendes_ und _konsequentes_.

ich habe eben keine "sensüchte", ich habe einen traum.

den von einer friedlichen welt für mich und meine kinder.

für mich ist die EU nur der anfang.

du hast keinen traum.

du hast internet.


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